Auf ihrer Sitzung am 23. Oktober 2017 hat die Gemeindevertretung einstimmig die Gemeinde Reddelich für zukunftsfähig als eigenständige, selbstverwaltete Kommune beschlossen. Dieses Votum ist eine Forderung eines Landesgesetzes. Nachfolgend die Erklärung der Gemeinde zu dem Beschluss:
Die Kernfrage für politisches Engagement in der Gemeinde ist: Haben Reddelich und Brodhagen eine Zukunft als eigenständige Gemeinde in kommunaler Selbstverwaltung? Das letzte Mal, dass diese Frage öffentlich gestellt wurde ist über 30 Jahre her. Das Jahr 1986 lag nicht nur im letzten Jahrtausend, mit dem Sozialismus herrschte in der damaligen DDR auch eine andere Gesellschaftsordnung. Die Ergebnisse der damals in der Gemeinde erstellten, diskutierten und beschlossenen Ortsgestaltungskonzeption sind heute wohl doch etwas überholt. Details dazu stehen in der Gemeindechronik: zur Chronik.
Für Teilbereiche des öffentlichen Gemeindelebens, wie Bauleitplanung, Kultur, Kinderbetreuung, oder Finanzen, wurden bereits aktuelle Entwicklungskonzepte erstellt und fortgeschrieben. Diese sind allesamt Makulatur, wenn im Ergebnis der eingangs gestellten Frage ein NEIN steht.
2016 hat der Landtag von M-V ein „Gesetz zur Einführung eines Leitbildes Gemeinde der Zukunft und zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes“ beschlossen. Kern dieses, bis Silvester 2022 befristeten, Gesetzes ist die geforderte Selbsteinschätzung der Gemeinden und Ämter zu ihrer Zukunftsfähigkeit. Steht im Ergebnis dessen ein „nicht Zukunftsfähig“, greifen die Paragrafen des Gesetzes zur Förderung von freiwilligen Zusammenschlüssen.
Historie
Reddelich als selbstverwaltete Gemeinde gibt es seit 1874. Davor war Reddelich domanialer Besitz des Schweriner Herzogshauses und wurde vom Domanialamt Doberan verwaltet. Dieses setzte auch die Dorfschulzen ein, die kaum Befugnisse hatten. Nach 1874 lag die Entscheidungsbefugnis bei den Gemeindevertretungen unter Vorsitz eines Bürgermeisters. Der Rahmen für Entscheidungen war allerdings durch Gesetze und Verordnungen recht eng. Daran änderte sich in den unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen bis heute wenig.
In Brodhagen entstanden ebenfalls 1874, mit Hof Brodhagen und Dorf Brodhagen, zwei Gemeinden. Das war keine skurrile Besonderheit sondern übliche Praxis in Mecklenburg. Den Gutsbesitzern oder -pächtern war es wohl nicht zuzumuten, sich einer Gemeindevertretung aus der Dorfschaft unterzuordnen. Diese Praxis hatte bis 1941 Bestand als die Nationalsozialistische Regierung diesen Zustand beendete.
1950 beschlossen die Gemeindevertretungen von Reddelich und Brodhagen den Zusammenschluss zur Gemeinde Reddelich. Diese Fusion war keine Liebesheirat, sondern kam auf staatlichen Druck zustande. Wirklich zusammengefunden haben Reddelich und Brodhagen bis heute nicht. Außerhalb der Gemeindevertretung beteiligen sich kaum Brodhäger am gesellschaftlichen Leben der Gemeinde. Dies änderte sich auch in den 13 Jahren nicht, als der Bürgermeister aus Brodhagen kam.
In der Zeit der DDR stand die Eigenständigkeit der Gemeinde Reddelich nie zur Debatte. Es fand eine kontinuierliche Entwicklung in beiden Dörfern statt. Die Gemeindechronik hält eine Fülle von Beispielen dazu parat.
In den 1990er Jahren bekam die Gemeinde zunehmend Probleme mit Haushaltsdefiziten, die bis heute anhalten. Es wurden viele Maßnahmen beschlossen um die finanzielle Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Darunter auch solche, die sich heute als Fehler erweisen. Dazu zählt der Verkauf von gemeindeeigenen Immobilien, die Einsparungen wichtiger Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen bei der Infrastruktur und dem Anlagevermögen der Gemeinde sowie die völlig unzureichende Bauleitplanung. Auf der anderen Seite hat die Gemeinde aber auch Maßnahmen getroffen, die sich heute als sehr hilfreich für die Sanierung des Haushaltes erweisen. Dazu gehört die Auslagerung eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten zu externen, professionellen Dienstleistern genauso, wie die Übertragung der Kitaträgerschaft an die Volkssolidarität. Eine sehr wichtige Weiche zur Wahrung der Eigenständigkeit wurde 2007 mit der Gründung des „Kulturverein für Reddelich und Brodhagen e. V.“ gestellt. Die Bilanz des Vereins nach 10 Jahren ist beeindruckend. Damit schaffte die Gemeinde den Spagat zwischen Haushaltskonsolidierung und kultureller Vielfalt in der Kommune.
2014 fand mit dem Generationswechsel in der Gemeindevertretung auch ein Wechsel der Prioritäten in der Gemeinde statt. Wichtige Projekte für die Zukunft wurden angeschoben und zum Teil bereits umgesetzt. Dazu gehören die Pläne zur Erneuerung des Gemeindehauses, Feuerwehrgerätehaus und Kita genauso wie die Erarbeitung einer „Innenbereichssatzung“ und eines B-Planes „Seniorengerechtes Wohnen“.
Allgemein lässt sich sagen: Die politischen Strukturen von Gemeinden waren nie von statischer Natur. Sie wurden immer den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen angepasst.
Der Begriff „Eigenständigkeit der Gemeinden“
In der Kommunalverfassung ist im § 1 unter Punkt 2 verankert: »Die Gemeinden sind Gebietskörperschaften. Sie fördern in freier Selbstverwaltung das Wohl ihrer Einwohnerinnen und Einwohner.«
Im § 2, Absatz 1 steht ergänzend: »Die Gemeinden sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.«
Soweit die theoretische Grundlage. In der Praxis ist auch das Sachgebiet „kommunale Verwaltung“ sehr komplex. Dabei ist der Begriff „Eigenständigkeit“ nicht klar definiert. Zu dem Thema gibt es – gefühlt – unendlich viele Veröffentlichungen. Diese reichen, vom Niveau her, von Presseartikeln bis zu umfangreichen Dissertationen.
Der Trend zu größeren Gemeinden mit mehreren Dörfern oder Ortsteilen steht dem Wunsch nach Eigenständigkeit nicht zwangsläufig diametral gegenüber. Es gibt in der Region durchaus Beispiele von Gemeindefusionen, die sich auch für die kleineren Fusionspartner als vorteilhaft erwiesen haben.
Die Ermittlung, welches die optimalen Strukturen zur größtmöglichen Eigenständigkeit der Gemeinde Reddelich sind, ist Zweck dieser Konzeption.
Der Bewertungskatalog
Im „Gesetz zur Einführung eines Leitbildes Gemeinde der Zukunft und zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes“ ist auch die Bildung von Koordinierungsstellen bei den unteren Rechtsaufsichtsbehörden festgelegt. Um eine Vergleichbarkeit der Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern zu erreichen, wurde ein Punktekatalog erarbeitet, der von den Gemeinden, gemeinsam mit den Ämtern, auszufüllen ist. Dies ist im Amtsbereich umgesetzt worden. Der Punktekatalog für die Gemeinde Reddelich (Punktekatalog zur Selbsteinschätzung Gemeinde Reddelich) ist Kern der Beschlussvorlage für die Gemeindevertretung zur Zukunftsfähigkeit.
Auffallend an diesem Katalog ist der hohe Stellenwert von „weichen“ Aspekten in der Gemeindearbeit. Ehrenamtliche Arbeit und freiwillige Leistungen in den Gemeinden werden dort mit hohen Punktzahlen bedacht. Diese landespolitischen Vorgaben stehen teilweise im Widerspruch zu Auffassungen der Unteren Rechtsaufsichtsbehörden des Landkreises. Von dort bekommt Reddelich seit langem Handlungsempfehlungen wie, die Gemeinde solle doch:
- alles an Eigentum verkaufen, was sich irgendwie zu Geld machen lässt,
- soziale Leistungen auf das gesetzlich geforderte Minimum beschränken,
- Investitionen für die Infrastruktur privatwirtschaftlich bezahlen oder diese bleiben zu lassen,
- Pflege und Wartung der Infrastruktur auf das unbedingt erforderliche zu reduzieren,
- die Förderung von Ehrenamt, Sport und gesellschaftlichen Aktivitäten im verbalen Bereich belassen und die Finanzierung in den privaten Bereich zu delegieren.
- usw.
Die Wertigkeiten bei der Punktevergabe ist auch ein Bekenntnis des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die Zukunftsfähigkeit von Gemeinden nicht alleine an deren finanziellen Leistungsfähigkeit zu fixieren.
Das Ergebnis von 65 Punkten (von 100 erreichbaren), für die Gemeinde Reddelich, ist durch ehrliche Abwägung in der Gemeindevertretung und dem Amt Bad Doberan-Land zustande gekommen.
Fazit
Mit 65 Punkten im Bewertungskatalog hat Reddelich seine Zukunftsfähigkeit formal nachgewiesen. Auf der anderen Seite ist derzeit aber auch keine Konstellation zu erkennen, in der Reddelich durch Fusion mit einer Nachbargemeinde Vorteile erlangen würde. Projektbezogene Kooperationen sind, unter dem Dach des Amtes, ausbaufähig.
Die 12 Punkte in der Kategorie „dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit“ zeigen eindeutig auf das Hauptproblem der Gemeinde. In der aktuellen Konzeption zur Haushaltskonsolidierung ist ausführlich dargestellt, warum die Haushaltsprobleme der Gemeinde nur zum Teil hausgemacht sind und sich nicht „wegsparen“ lassen (Siehe: Neue Haushaltskonsolidierungskonzeption der Gemeinde Reddelich).